Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand von Jonas Jonasson. Cover: Carl's Books

Postmoderner Don Quijote

Jonas Jonassons Debütroman mäandert bezaubernd skurril durch die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts

Ein gestohlener Koffer voller Geld und eine tiefgefrorene Leiche. Und zwei branntweinselige alte Männer, die sich davon auf keinen Fall die Laune verderben lassen wollen. Sie frühstücken zuerst einmal ausgiebig und treten dann auf einer Fahrraddraisine die Flucht an.

Das ist das erste von unzähligen skurrilen Szenarien in Jonas Jonassons Debütroman. Der titelgebende Hundertjährige, der zu Beginn der Geschichte unternehmungslustig aus dem Altenheimfenster steigt, heißt Allan Karlsson und hat in seinen hundert Jahren erlebt, was man in einem Menschenleben nur erleben kann. Im Spanischen Bürgerkrieg rettet er zufällig General Franco das Leben, auf der amerikanischen Militärbasis Los Alamos gibt er nebenbei beim Kaffee Servieren den entscheidenden Hinweis zur Entwicklung der Atombombe, wodurch er den damaligen Vizepräsidenten und späteren Präsidenten Truman kennen lernt. Ebenso nebenbei und zufällig verschlägt es ihn später zu Mao Tse-tung, Stalin und de Gaulle. In ihrer Summe sind all diese Begebenheiten äußerst unwahrscheinlich, jede einzelne davon hätte sich aber durchaus so zugetragen haben können.

Jonas Jonasson / Foto: Sara Arnald
Jonas Jonasson / Foto: Sara Arnald

Allan Karlsson ist eine Art Don Quijote der Postmoderne. Meist hat er nicht den leisesten Schimmer in welch historischer Situation er sich gerade befindet. Für Politik interessiert er sich herzlich wenig, umso mehr für Alkohol und Geselligkeit. Und dieses einzige, völlig ehrgeizlose Streben nach angenehmem Zeitvertreib spült ihn zwischen 1905 und 2005 durch die Weltgeschichte.

Bei aller Unwahrscheinlichkeit ist die Geschichte in sich schlüssig erzählt. Nichts wird einfach so behauptet, alles hat eine Erklärung. Das macht das Buch so vergnüglich. Jonas Jonasson nimmt seine unglaubliche Lügengeschichte verdammt ernst.

Der eine Handlungsstrang des Romans erzählt die hundert Jahre vor Kalssons spontaner Flucht aus dem Altenheim, der andere behandelt die Tage danach. In diesen Tagen beginnt alles mit einem Kofferdiebstahl in der schwedischen Provinz und endet in einer vergnüglichen Zusammenrottung von allerlei Lebenskünstlern. Auf jeder Etappe von Allans Reise durch Schweden stößt ein neuer dazu. Ziemlich einfallsreich sind sie alle, und jeder von ihnen hat sich auf ähnliche Weise durchs Leben gemogelt wie der Protagonist.

Sehr charmant ist die Detailgenauigkeit, mit der Jonnasson seine Charaktere, ihre Biographien und Beweggründe konstruiert. Da ist ein Wilderer, der in einem alten Bahnhofsgebäude haust und den Strom der Nachbarn anzapft, außerdem ein gänzlich alkoholabstinenter Imbissbudenbesitzer, der von Medizin über Jura bis Literaturwissenschaft alles studiert, jedoch nichts abgeschlossen hat, und eine schöne Frau, die ihren Job an den Nagel gehängt hat, um sich hauptberuflich um eine Zirkuselephantin zu kümmern, die ihr zugelaufen ist.

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand von Jonas Jonasson. Cover: Carl's Books
Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand von Jonas Jonasson. Cover: Carl’s Books

Böses haben sie alle nicht im Sinn, auch wenn sie hin und wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Aus Jonassons Figurenzeichnung und Handlungsführung spricht eine große Liebe zum Menschen. Die sympathischen, lebensbejahenden Charaktere kommen mit ihren kleinen Betrügereien recht gut durch die Geschichte, allein die notorischen Unsympathen segnen früher oder später das Zeitliche.

„Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ ist ein Roman, den man am liebsten ewig weiterlesen würde. Er ist unterhaltsam und bezaubernd und regt zum Nachdenken darüber an, was wirklich wichtig ist im Leben. Nur verständlich, dass er in Schweden das bestverkaufte Buch des ganzen vergangenen Jahres war.

Jonas Jonsson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand, Carl´s Books, 416 Seiten, 14,99 Euro