Von Sommerträume und Alpträume erzählt Dominczyk ganz ohne Kitsch / Abbildung: Suhrkamp Insel

Freundschaftsbande

Dagmara Dominczyks kraftvoller Debütroman „Wir träumten jeden Sommer“

Das Buch der jungen polnisch-amerikanischen Autorin ist eine Hassliebeserklärung an ihr europäisches Geburtsland und die ergreifende Annäherung an eine ambivalente Mädchenfreundschaft.

Immer wieder geht es in dem Buch um die innere Verbundenheit der Protagonistinnen. Eine Handvoll prägender Erlebnisse haben sie so stark zusammengeschweißt, dass sie auch nach jahrelanger Funkstille sofort wieder zu einer gemeinsame Ebene voller Nähe finden.

In mal wunderschönen, mal tieftraurigen Episoden erzählt „Wir träumten jeden Sommer“ die Geschichte der drei jungen Frauen. Anna ist mit sieben Jahren mit ihren Eltern aus Polen in die USA ausgewandert, Kamila und Justyna sind in ihrer polnischen Heimatstadt Kielce geblieben. Als junge Mädchen verbringen die drei jeden Sommer zusammen in Polen. Justyna ist dabei immer die selbstbewusst Strahlende, Kamila die gehemmt Schüchterne, und Anna die Exotin, die zu Hause in New York ein ganz anderes Leben führt und die Narrenfreiheit dieser polnischen Sommer in vollen Zügen genießt.

Diese Szenen im Schwimmbad und im Zeltlager erzählen von pubertärem Lebenshunger und lassen den Leser voller Nostalgie an die eigene Jugend denken. Zugleich lesen sie sich als ergreifend authentische Liebeserklärung der amerikanischen Autorin an ihr europäisches Geburtsland.

Dominczyks Protagonistin Anna kommt im Laufe der Jahre immer seltener nach Polen. Die drei Freundinnen verlieren sich immer mehr aus den Augen. Mit Mitte zwanzig stecken Anna und Kamila beide in tiefen Lebenskrisen, als sie eine schockierende Nachricht von Justyna erreicht: Justynas Mann wurde im eigenen Haus ermordet. Halb, um vor dem eigenen gescheiterten Leben zu fliehen, halb, um ihrer Freundin beizustehen, machen sich Anna und Kamila unabhängig voneinander auf den Weg zu Justyna. Das Wiedersehen erleben alle drei als eine Art Erlösung: Jede der Frauen sieht durch die bloße Anwesenheit der anderen beiden plötzlich wieder ein bisschen Licht am Horizont.

Dagmara Dominczyk bringt den Leser ganz nah ran an ihre Figuren. Wenn Anna schlaflos und rauchend im Wohnzimmer sitzt und über ihre Liebesbeziehung grübelt, spürt man ihre Beklemmung förmlich in der eigenen Kehle. Wenn die temperamentvolle junge Mutter Justyna nach dem Mord an ihrem Mann den Schmerz irgendwo tief in sich begräbt und wie ein Automat funktioniert, fühlt man sich selbst ebenso emotional überfordert vom Ausmaß dieser unfassbaren Tragödie.

 

Von Sommerträumen und Alpträumen erzählt Dominczyk ganz ohne Kitsch / Abbildung: Suhrkamp Insel
Von Sommerträumen und Alpträumen erzählt Dominczyk ganz ohne Kitsch / Abbildung: Suhrkamp Insel

Genauso intensiv empfindet man als Leser die Erleichterung, die die drei Frauen bei ihrem Wiedersehen erleben. Trotz all der Glücksmomente, Enttäuschungen, Krisen und Katastrophen, die sie über die Jahre getrennt voneinander erfahren haben, kehren sofort die Verbundenheit und ein Stückweit auch der Optimismus und die Unbeschwertheit jener längst vergangenen Sommer zurück.

Dagmara Dominczyks Roman ist eine kraftvolle Hommage an die Freundschaft, ohne jede poetische Idealisierung. Diese drei jungen Frauen sind keine Seelenverwandten; sie sind jahrelang gut ohne einander ausgekommen, haben völlig verschiedene Leben geführt, und ihre Beziehung zueinander ist voll von unausgesprochenen Geheimnissen und neurotischen Verstimmungen. Und dennoch sind sie, als es darauf ankommt, einfach füreinander da.

Ein wunderbares, hoffnungsfrohes Buch voller Leidenschaft und Lebensfreude!

Dagmara Dominczyk: Wir träumten jeden Sommer, Suhrkamp/ Insel, 285 Seiten, 19.95 Euro