Cover: Hanser

Femme Fatale

Amor Towles hat einen gelungenen Krimi über das Hollywood der 1930er Jahre geschrieben und spielt dabei mit dem „Male Gaze“.

Evelyn Ross ist eine geheimnisvolle Schönheit mit einer Narbe im Gesicht, die die Blicke aller  Männer auf sich zieht. Jeden fasziniert ihr Äußeres, jeder stellt sich Fragen über ihre Beweggründe. 

Allgemein bekannt ist im Hollywood der späten 1930er Jahre, wo Amor Towles’ gerade auf deutsch erschienener Roman „Eve“ spielt, nur, dass die schöne Blonde nach einer geplatzten Verlobung in New York überstürzt Richtung Westen aufgebrochen ist. Mehrfach wird gemutmaßt, dass sie auf der Suche nach einem Ehemann sein müsse – was Eve jedoch immer wieder ad absurdum führt. Ihr geht es weder um eine gute Partie auf dem Heiratsmarkt noch um eine gute Partie im hart umkämpften Filmgeschäft. 

Was ihr wahrer Antrieb ist, kristallisiert sich erst gegen Ende des Romans heraus. Dass die Motive der Titelheldin so lange im Dunklen bleiben, hängt mit Amor Towles’ konsequentem Spiel mit dem „Male Gaze“ zusammen, diesem Hollywood-typischen männlichen Blickwinkel, aus dem viele Filme erzählt werden, selbst wenn die Hauptfigur weiblich ist. Männer, die Frauen mal voyeuristisch mal fasziniert beobachten, sind in Towles’ Buch eine Art Leitmotiv. 

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Auch seiner Protagonistin nähert sich Towles zunächst fast ausschließlich aus männlicher Perspektive. In den verschiedenen Kapiteln des Buches erzählen verschiedene männliche Figuren von Situationen, in denen sie Eve begegnet sind, von ihrer strahlenden Schönheit, zu der die große Narbe im Gesicht in irritierendem Kontrast steht, von ihrer selbstbewussten Haltung und ihrer spielerisch-taktierenden Art der Kommunikation. 

Fans von Amor Towles dürften die Figur der Evelyn Ross schon aus seinem Debütroman „Eine Frage der Höflichkeit“ von 2011 kennen: Der erzählt den New Yorker Teil von Evelyns Geschichte. „Eve“ ist also ein klassisches Spin Off, das in Amerika als Teil des Erzählbandes „Table for two“ und in Deutschland nun als eigenständiger Band erschienen ist . 

Amor Towles ist ein meisterhafter und zugänglicher Erzähler, der historische Settings liebt. Sein zweiter Roman „Ein Gentleman in Moskau“ von 2016 spielt in der Zeit nach der russischen Revolution und porträtiert einen Aristokraten unter Hausarrest. Kürzlich wurde der Roman mit Ewan McGregor in der Hauptrolle als Miniserie verfilmt. Und auch Towles’ letzter Roman „Lincoln Highway“, der wunderbar lebhaft von einem Road Trip auf der legendären ersten amerikanischen Autobahn erzählt, war ein Bestseller.

Die Dramaturgie des aktuellen Bandes „Eve“ wirkt durch die verschiedenen Erzählstimmen und Perspektiven zunächst sehr offen. Die Kapitelfolge erscheint anfangs lediglich als eine lose Annäherung an eine schillernde Persönlichkeit. 

Im zweiten Teil des Buches stellt sich jedoch heraus, dass alles sehr wohl einem linearen Aufbau folgt und auf ein bestimmtes Ziel zuläuft. Aus dem koketten Hollywood-Geplänkel entwickelt sich ein handfester Krimi, in dem jeder der Beteiligten die anderen zu überlisten glaubt. 

Allein Eve ist am Ende die, die alle Fäden in der Hand hält und immer schon eine Ecke weiter gedacht hat als alle anderen. Sie macht sich zur Verbündeten der historischen Hollywood-Schauspielerin Olivia de Havilland. Wie ein leuchtender, mächtiger Racheengel von Tarentinoscher Größe sorgt sie für Gerechtigkeit – für Olivia, aber auch für einige andere Frauen und Männer. Und doch steht am Ende die Erkenntnis, dass es wohl noch sehr viel harte Arbeit erfordern wird, bis sich wirklich etwas ändert in puncto Gerechtigkeit – in Hollywood und im Rest der Welt.

Amor Towles’ Roman ist ein kleines feines Stück große Literatur, das im Mantel eines klug konstruierten Unterhaltungsromans daher kommt und doch sehr viel Tiefe und Allgemeingültigkeit in sich trägt. 

Amor Towles: „Eve“, Hanser, 224 Seiten, 24 Euro, E-Book 17,99 Euro

Dieser Text ist zuvor in der Münchner Abendzeitung erschienen.