Treffpunkt bei den spanischen Anti-Regierungs-Protesten: Die Puerta del Sol in Madrid / Foto: David Adam Kess, Wikimedia commons

Lektion in Sachen Solidarität

Almudena Grandes Buch „Kleine Helden“ ist erzählerisch gesehen nicht ihr bestes, überzeugt aber in seiner Botschaft.

Die Hälfte der Leute ist arbeitslos, die andere Hälfte muss mit Gehaltskürzungen und Umsatzeinbußen zurecht kommen. Junge Leute sind froh, wenn man ihnen wenigstens einen Ausfhilfsjob anbietet. Der Bauingenieur arbeitet völlig unterbezahlt als Pförtner, die Ärztin muss jeden Tag mit der Schließung des öffentlichen Gesundheitszentrums rechnen, in dem sie angestellt ist.  

Almudena Grandes beschreibt in ihrem Roman „Kleine Helden“, der in Spanien bereits 2015 erschienen ist, ein Land in der Krise. Der Mikrokosmos, in dem sich all die kleinen Geschichten und persönlichen Dramen abspielen, ist ein Stadtviertel in Madrid.

Treffpunkt bei den spanischen Anti-Regierungs-Protesten: Die Puerta del Sol in Madrid / Foto: David Adam Kess, Wikimedia commons
Treffpunkt bei den spanischen Anti-Regierungs-Protesten: Die Puerta del Sol in Madrid / Foto: David Adam Kess, Wikimedia commons

Die Perspektive, die Grandes in den Episoden aufzeigt, ist eine von Solidarität, Freundschaft und Liebe. Resignation, Wut und Kampf gegen das System, das die Missstände hervorgebracht hat, kommen zwar vor, dominierend ist jedoch immer der zwischenmenschliche Zusammenhalt. Die Frisörin, die anfangs auf die Chinesinnen von der Billig-Konkurrenz schimpft, freundet sich schließlich mit ihnen an und geht gemeinsam mit ihnen gegen die Schließung des Gesundheitszentrums auf die Straße. Die depressive Ehefrau eines entlassenen Gärtnerei-Angestellten unterstützt ihren Mann beim Aufbau seines eigenen Geschäfts und findet dadurch neuen Halt. Und der traurige, unterbezahlte Pförtner findet immerhin eine neue Liebe.

Wenn nichts mehr anderes helfen will, gibt es in „Kleine Helden“ immer wieder diese kleinen Momente der Liebe, Momente, in denen seit Jahren verheiratete Paare immer wieder neu entdecken, was sie zusammenhält, und sich gegenseitig ermutigen, weiterzumachen oder neue Wege zu gehen.

Almudena Grandes beobachtet ihre Figuren mit einem wohlwollenden Blick, der immer wieder zum guten, menschlich-warmherzigen Kern jedes Einzelnen vordringt. Dieser wohlwollende Blick schafft ein so positives Menschenbild, dass „Kleine Helden“ manchmal wie ein modernes Märchen anmutet. So ganz mag man nicht daran glauben, dass diese vom Schicksal gebeutelten Menschen am Ende tatsächlich fast immer den Weg des Zusammhalts und nicht den der gegenseitigen Missgunst wählen.

Für Almudena Grandes alles eine Frage derPerspektive: Die Solidarität, die sie in ihrem Buch beschreibt, erscheine vielleicht den deutschen Lesern wirklichkeitsfern. „Aber in Spanien, das immer ein armes Land gewesen ist, (…) ließen die Krise und all das Leid, das mit ihr einherging, die Solidarität auf bemerkenswerte Weise hervortreten.“ Im Interview mit ihrem deutschen Verlag beschreibt die Autorin die Unterstützung, die viele Spanier denjenigen boten, die noch ärmer als sie waren, als „Form, der Regierung zu widersprechen, gegen die Kürzungen anzukämpfen, lautstark klarzumachen, dass wir nicht untergehen würden, weil wir es einfach nicht wollten“.

Almudena Grandes' Episodenroman "Kleine Helden"
Almudena Grandes‘ Episodenroman „Kleine Helden“

Erzählerisch gesehen ist „Kleine Helden“ nicht Almudena Grandes‘ bestes Buch. Im Vergleich mit den zuletzt auf Deutsch erschienen Romanen „Der Feind meines Vaters“ und „Inés und die Freude“, die sich durch virtuose Konstruktion und Spannungsführung auszeichnen, wirkt das aktuelle Buch wenig komplex. Dennoch ist es ein Buch, das man gerne liest, es macht Spaß, sich in die kleinen, teils traurigen, teils ermutigenden Geschichten zu vertiefen und in den Kosmos dieses Madrilenischen Viertels einzutauchen. Und was noch wichtiger ist, ist die Botschaft, die man beim Lesen unwillkürlich verinnerlicht: Es geht immer irgendwie weiter, egal, wie aussichtslos die Lage erscheint. Wahrscheinlich können wir Deutschen von den Spaniern tatsächlich eine Lektion in Sachen Solidarität lernen.

Almudena Grandes: „Kleine Helden“, Hanser Verlag, 320 Seiten, 24 Euro

Lesung im Rahmen der Münchner Bücherschau am Mittwoch, 21. November 2018, um 19 Uhr im Kleinen Konzertsaal im Gasteig

Dieser Text ist zuvor in der Münchner Abendzeitung erschienen.