Von Sehnsucht und sozialer Härte

Patrick Findeis‘ Roman „Paradies und Römer“ kombiniert Sozialrealismus gekonnt mit poetischer Überhöhung und Unaufgeregtheit.

„Das Einzige, was Typen wie du und ich hinkriegen, ist, nicht da zu sein, wenn man uns braucht.“ Dieser Satz fällt ziemlich am Ende von „Paradies und Römer“ und erscheint wie ein Resümee der Geschichte. Das Buch erzählt von drei Männern und einer Frau aus einer Sozialbausiedlung im schwäbischen Heidenheim – und vom Kämpfen und Scheitern.

Danilo war schon immer der, der den Ton angab. Als Jugendliche stehen Frankie und Ferry in seinem Schatten. Später geht Frankie seinen Weg, macht eine Ausbildung zum Zahntechniker und zieht nach Stuttgart. Über Ferry erfährt man wenig – außer dass er bereits früh gestorben ist. Und Ellen hat schon immer nach ihren eigenen Vorstellungen gelebt: Sie hat den Mathe-LK gewählt, Abi gemacht und sich mit dem Dealer Hussein in den Drogenkonsum gestürzt. In sie sind alle Jungs ein bisschen verliebt. Danilo, der sie von den Drogen wegbringt, heiratet sie schließlich. Sie bekommen drei Töchter zusammen und leben in einer gehobenen Wohngegend – bis Danilo gewalttätig wird und Ellen mit den Kindern in ein Frauenhaus flüchtet.

Die Realität ist hart, der Erzählton dagegen unaufgeregt, die Sprache geradezu poetisch. Der Erzähler der Geschichte ist ausgerechnet Ferry, derjenige der vier Freunde, der zum Zeitpunkt des Erzählens bereits tot ist. Allwissend blickt er auf seine früheren Gefährten und bleibt doch Teil des Geschehens, als Stimme die den Freunden etwas zuflüstert oder in den Rückblenden auf die Jugend der Vier. Patrick Findeis gelingt es, dass man dieses surreale Element nie als störend empfindet, vielmehr setzt es dem aufwühlenden Sozialrealismus eine überhöhende Gelassenheit und Ruhe entgegen. Der tote Freund hält sich im Hintergrund und ist nachsichtig mit seinen Gefährten, er kennt all ihre Schwächen und Leidenschaften und urteilt nicht. 

Zu Beginn des Romans haben die Protagonisten einander aus den Augen verloren. Danilo sucht Frankie in Stuttgart auf, damit der ihm hilft, Ellen einen Stapel Geld zu übergeben, das er als Inkasso-Unternehmer in die eigene Tasche abgezweigt hat. Er möchte, dass sie mit seinen Töchtern in der richtigen Gegend wohnen kann, doch Ellen will sein Geld nicht. 

Abbildung: Liebeskind

Aus dem Wiedersehen der Freunde entspinnt sich ein Roadmovie zwischen Stuttgart und Heidenheim. Es gibt Auseinandersetzungen und Prügeleien, es wird viel geraucht und Dinkelacker-Bier getrunken, zu Hause und in der Kneipe. 

Interessant ist, dass hinter Männern, die sich scheinbar skrupellos verhalten, immer wieder die verletzlichen und verletzten Jungs der Vergangenheit aufscheinen. Hinter aller Härte geht es immer wieder um Sehnsucht. Um die Sehnsucht nach Leben und um die Sehnsucht danach, dass etwas Bedeutungsvolles passiert. Und gleichzeitig wollen sie es einfach richtig machen, ihren Kindern etwas bieten, ein bisschen bürgerliches Glück erreichen. 

Doch das bürgerliche Glück scheint nie von Dauer zu sein für die Jungs aus „Paradies und Römer“, der Sozialbausiedlung an der gleichnamigen Heidenheimer Straßenkreuzung. Die Erkenntnis, dass sie es eben immer wieder hinkriegen, nicht da zu sein, wenn man sie braucht, scheint da fast eine Art Erleichterung auszulösen. Schlechter als in der Vergangenheit können sie es gar nicht mehr machen, nur noch besser. Und so endet das Buch tatsächlich mit einem lauten unbeschwerten Lachen und einer geradezu unerklärlichen Zuversicht. 

Patrick Findeis: „Paradies und Römer“, Liebeskind, 208 Seiten, 20 Euro, als E-Book 14,99 Euro

Dieser Text ist zuvor in der Münchner Abendzeitung erschienen