Die Einsamkeit in der Rush Hour des Lebens

Anne Hopes gelungener Roman „Was wir sind“ erzählt von drei Frauen aus der Generation, „die glaubte, alles haben zu können“

Drei Freundinnen in einem Londoner Park, unbeschwerte Stimmung – zumindest für den Moment. Damit beginnt und damit endet Anna Hopes Roman „Was wir sind“. Zwischen beiden Szenen liegen 14 Jahre – und die Rush Hour des Lebens, jener Zeitabschnitt, in dem man meint, alles schaffen, alles regeln, alles auf den Weg bringen zu müssen: Karriere, Partnerschaft, Kinder.

Hauptfokus der Erzählung liegt auf den Jahren 2010 und 2011, als die Freundinnen Hannah, Cate und Lissa Mitte dreißig sind. Cate ist mit Mann und Baby in eine Kleinstadt gezogen und ziemlich geschlaucht von ihrem neuen Leben. Lissa leidet immer mehr unter ihrer beruflichen Erfolglosigkeit als Schauspielerin. Und Hannah hat eine gute Beziehung und einen guten Job, quält sich aber wegen ihres seit Jahren unerfüllten Kinderwunsches.

Anna Hope porträtiert ihre Protagonistinnen in knappen und treffenden Situations- und Stimmungsbeschreibungen, in denen sich viele Leserinnen wiederfinden dürften. Sie erzählt von Online-Dating, schlaflosen Nächten mit Baby, innerer Leere bei nachmittäglichen Kinobesuchen, Sehnsucht, Ehrgeiz, Konkurrenzdenken und Verbundenheit. Und vor allem immer wieder von den Gefühlen der Einsamkeit und der Unzulänglichkeit. 

Beim Schreiben sei sie tief in ihre eigenen Erfahrungen eingetaucht, sagt Anna Hope. Die Autorin ist 1974 in Manchester geboren und hat Englische Literatur und Schauspiel studiert. Vor dem aktuellen hat sie bereits zwei weitere Romane veröffentlicht. Ihr Debüt ist unter dem Titel „Fünf Tag im November“ auch auf Deutsch erschienen. „Mit Mitte dreißig wohnte ich in einem der angesagtesten Teile Londons, hatte wenig Geld, arbeitete in einem Callcenter statt auf der Bühne zu stehen und hatte den Wunsch, schwanger zu werden.“

Ihr aktueller Roman sei auch eine Abrechnung mit ihrer Generation und dem politischen Klima der 1990er Jahre. „Wir sind die erste Generation, die glaubte, alles haben zu können: eine Karriere, eine erfüllende Partnerschaft, ein Kind, sobald wir dazu bereit waren.“

Tatsächlich gibt es in „Was wir sind“ eine Gegenfigur zum Individualismus der drei Protagonistinnen: Lissas Mutter Sarah ist Künstlerin und Aktivistin und hat, auch als Lissa ein kleines Kind war, für Abrüstung und Gleichberechtigung gekämpft. Es wirkt, als habe sie immer versucht, ihrer Tochter die Vision einer anderen Welt mit auf den Weg zu geben, tatsächlich entstand bei Lissa jedoch das Gefühl, ihrer Mutter bei all den wichtigen Dingen, die sie zu tun hat, im Weg zu sein und ihren Ansprüchen nicht zu genügen. 

Als echtes Gegengift gegen die negativen Gefühle von Einsamkeit und Unzulänglichkeit fungiert in „Was wir sind“ dagegen die Freundschaft. Die Szenen, in denen die Freundinnen sich einander zuwenden, Zeit miteinander verbringen, einander anspornen und unterstützen erscheinen wie kleine Erlösungsmomente. Hope fasst das ganze Universum dieser Freundschaft zwischen zwei unbeschwerte Szenen und deutet damit Versöhnung an, Versöhnung mit den eigenen Unzulänglichkeiten und denen der anderen. Ohne jemals melodramatisch zu werden, erzählt sie auf leicht zugängliche Weise von großen Gefühlen und folgenschweren Lebensentscheidungen – und davon, dass meistens alles anders kommt, als man es geplant hat. Eine Lektüre, die erfrischt und zufrieden macht, wie ein Treffen mit einer guten Freundin.

Anna Hope: Was wir sind, Hanser, 368 Seiten, 22 Euro, als E-Book für 16,99 Euro

Dieser Text ist zuvor in der Münchner Abendzeitung erschienen.